Ich hatte ja schon angekündigt, mich zur Interessenabwägung im Rahmen einer außerordentlichen Kündigung zu äußern. Das will ich jetzt tun:
Angenommen, es liege ein an sich geeigneter Grund vor, das Arbeitsverhältnis außerordentlich zu kündigen, dann folgt in der juristischen Prüfung die so genannte Interessenabwägung.
§ 626 Abs. 1 BGB verlangt eine Abwägung der gegenläufigen Interessen beider Vertragsteile. Mit Vertragsteilen sind der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer gemeint. Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts verlangt seit je her, dass alle vernünftigerweise in Betracht zu ziehenden Umstände einzubeziehen sind, die für oder gegen eine außerordentliche Kündigung sprechen (so schon das BAG im Urteil vom 12. April 1956, 2 AZR 247). Das folgt schon aus dem Wortlaut des Gesetzes. § 626 BGB verlangt, dass alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen sind. Dies ist typisch für das Deutsche Recht, welches seine Entscheidungen immer am Einzelfall selbst trifft und nicht wie das angelsächsische Recht, reine Vergleichsfälle zur Beurteilung heranzieht.
Es ist zu prüfen, ob die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ende der Kündigungsfrist unter Berücksichtigung der konkreten (arbeitsvertraglich bedeutsamen) Umstände des Einzelfalls und der Abwägung der Interessen beider Vertragsteile zumutbar ist oder nicht.
Ein wesentlicher Prüfungspunkt bei der Interessenabwägung ist bei der arbeitgeberseitigen außerordentlichen Kündigung das Ausmaß und gegebenenfalls die voraussichtliche Dauer der Störung des Vertragsverhältnisses und des Betriebsablaufs sowie das Bestehen einer Wiederholungsgefahr des Kündigungssachverhalts und damit des Grundes.
Im weiteren kommt es dann schon auf die Typisierung des einzelnen Kündigungsgrundes an. Insofern möchte ich nur kurz auf die so genannte verhaltensbedingte Kündigung eingehen. Hier kommt es auf den Grad des Verschuldens beim Verhalten des Arbeitnehmers an.
Sie sehen also, es ist mir nur möglich Ihnen einen allgemeinen Einblick in die Interessenabwägung zu geben. Letzten Endes überprüft natürlich in einem Kündigungsschutzprozess das Arbeitsgericht die Entscheidung des Arbeitgebers und im besonderen auch, ob der Arbeitgeber auch nach dem so genannten „Ultima ratio Prinzip“ wie Interessen der Abwägung korrekt vorgenommen hat. Selbstverständlich spielen auch Dinge wie der Familienstand, die Dauer der Betriebszugehörigkeit und auch das Lebensalter des Gekündigten eine wesentliche Rolle. Die Dinge sind innerhalb der Interessenabwägung eben nicht „Schwarz und Weiß“. Oftmals haben es die Richter und die Rechtsanwälte mit einer Grauzone zu tun, die beurteilt werden muss.
Wie immer ist es für den Arbeitnehmer wichtig, sich rechtzeitig – d.h. spätestens innerhalb der Dreiwochenfrist des § 4 KschG nach Erhalt der Kündigung – und umfassend zu informieren und anwaltlichen Rat einzuholen!