Gefährliches Reiten in Vielseitigkeitsprüfungen was ist das und wo ist das geregelt?

Im Pferderecht erscheinen immer neue Fragen  – auch zur Durchführung und Beurteilung von Reiter und Pferd während Reitturnierveranstaltungen:

„Gefährliches Reiten“ in Vielseitigkeitsprüfungen was ist das und wo ist das geregelt?

Der Blick in die Leistungsprüfungsordung für Reiter und Pferd – kurz LPO genannt –  hilft weiter!  Dort findet man in § 53 folgendes zum Technischen Deligierten, der einen Teil des Gremiums der Turnierrichter darstellt:

Der TD soll dafür sorgen, dass die technischen und organisatorischen Voraussetzungen für einen regelgerechten und sicheren Ablauf einer Gelände- oder Vielseitigkeitsprüfung geschaffen werden. Der TD ist nach den Bestimmung des § 53 LPO  zur Beurteilung bzw. zur Überwachung des Turniergeschehens unter anderem auch in Vielseitigkeitsprüfungen verantwortlich. Er hat die Befugnis, einen Teilnehmer auf einer Geländestrecke zu verwarnen bzw. anzuhalten, wenn „Gefährliches Reiten“ vorliegt, ein Teilnehmer ein erschöpftes Pferd reitet, bei übertriebenem Vorwärtsreiten eines Pferdes, wenn ein offensichtlich lahmes Pferd geritten wird, bei übertriebener Anwendung der Gerte und/oder Sporen oder wenn ein Teilnehmer nicht sicher reitet.

Anm.: Dabei handelt es sich um eine Aufzählung und nicht darum, dass alles auf einmal zusammentrifft. Wie man unschwer erkennen kann wird mit dem Ausdruck „wenn ein Teilnehmer nicht sicher reitet“ eine quasi Generalklausel – „Gummi-Pragraf“ – ausgerufen. Denn auch unterliegt auch diese Regel eine Überprüfbarkeit. Dies kann man aber weiteren Wortlaut der Regelung erkennen, wonach ein erfahrener Reitervertreter an der Analyse teilzunehmen hat.

So ist das dann in der LPO geregelt:

Der TD hat im Anschluss an die Prüfungen zu Analyse eine Nachbesprechung (“Debriefing“) zu organisieren, an die zuständigen Richter und Parcourschef (s) der Prüfungen sowie jeweils mindestens ein (erfahrener) Reitervertreter teilnimmt (§ 53 LPO)

Dies sind wichtige Voraussetzung dafür, dass überhaupt ein TD auf Basis der Leistungsprüfungsordnung (LPO) derartige Rügen aussprechen darf!

Der Fall:

Diese gesetzlichen Voraussetzungen werden leider von manchen TDs übersehen, nicht erkannt oder gar nicht wahrgenommen. So geschehen in Wesel Obrighoven im Juni 2015:

Ein junges und noch recht unerfahrenes Pferd wurde erstmals auf einem Turnier und in einer Vielseitigkeitsprüfung der Klasse A vorgestellt. Klasse A  steht für Anfängerprüfung. Darunter können Reiter als auch Pferde fallen. Manchmal fällt beides zusammen. Häufig reiten auch sehr erfahrene Reiter ihre Nachwuchspferde zum Einstieg in dieser Klasse. So war es auch hier. Das Pferd sollte die Prüfung nur durchlaufen um so Erfahrungen zu sammeln. Nach den Anweisungen des äußerst renommierten und über Deutschlands Grenzen bekannter Trainer Tony Harris wurde das Pferd auf einer S-gebogenen Linie pariert um den mittleren Teil eines Hinderniskomplexes aus dem Trab zu springen, was ohne Schwierigkeiten gelang.  Das war Sprung 18 von 22 und hatte lediglich eine Höhe von etwa 90 cm. Das Paar war auch bis dahin fehlerlos.  Tony Harris bestätigte die Aufgabe optimal – ohne Gefahr für Reiter und Pferd – gelöst zu haben.  Der Parcour wurde ohne Hindernisfehler bewältigt.

Ein neuer TD (Turnier-) Richter sagte Tony Harris und dem Reiter nach Beendigung der Prüfung, dass es sich bei der Überwindung des Hindernisses um so genanntes „Gefährliches Reiten“ gehandelt habe. Auf Nachfrage des Trainers äußert der zuständige Richter:

„Der ist über ein Hindernis getrabt – das wollen wir ja nicht sehen! Wegen der Gefahr!? Da bekommen Sie 25 Punkte wegen Gefährlichen Reiten, wenn Sie nicht aufhören zu meckern! Dagegen können Sie sowieso kein Einspruch einlegen. Das Video wollen wir nicht sehen. Das ist uns egal. Das können wir schon selbst entscheiden!“

Selbstherrlicher geht es wohl nicht – Willkür sollte eigentlich in Deutschland seit über 70 Jahren überwunden sein. Zivilcourrage der Reiter und Trainer gehört eben auch zum Reitsport!

Letztenendes haben die Richter es sich dann noch anders überlegt und keine Strafe ausgesprochen. Dennoch zeigt es nur die völlige Unerfahrenheit mancher Richter TDs mit dem Vielseitigkeitsport –  bedachtes und rücksichtsvolles Reiten wird dem Reiter so zum Vorwurf gemacht. Das kann es wohl nicht sein! Junge Pferde sind auch nach Reitlehren immer wieder aus dem Trab zu springen.

Ganz instruktiv ist folgender Artikel, der das Reiten über Geländehindernisse u.a. auch aus dem Trab grundsätzlich bei jungen und unerfahren Pferden aufzeigt:

http://www.klimke.org/data/%23download/SsVRZRNC.pdf

Dann bekommt man auch ein Gefühl dafür, um was es hier dem Trainer und dem Reiter auf dem Turnier in Wesel eigentlich ging und das ist davon weit entfernt „gefährlich zu reiten“!

 

Dieser Beitrag wurde unter Pferderecht abgelegt und mit , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.