Aus der Praxis erfahre ich immer häufiger, dass Betriebsratsvorsitzende, ihre Stellvertreter, als auch die so genannten freigestellten Betriebsratsmitglieder die Auffassung vertreten, sie stünden den übrigen Betriebsratsmitgliedern gegenüber in einer “gehobenen Stellung“. Sie vertreten die Auffassung, sie sei innerhalb des Betriebsrates quasi deren “Betriebsratsvorgesetzte“. Gerade bei besonders großen Betrieben mit Betriebsräten, die unterschiedliche Interessenlagen vertreten, kommt so etwas vor. Es ist aus meiner Sicht notwendig einmal anhand eines Beispiels der Rechtsprechung klarzumachen, inwieweit ein Betriebsratsvorsitzender beispielsweise bestimmen kann, welche Betriebsräte auf welche Daten des Betriebsrats insgesamt zugreifen dürfen. Hierzu gab es schon in der Vergangenheit mehrere Rechtsstreite, die zunächst von den Arbeitsgerichten, dann auch endgültig von den Landesarbeitsgerichten und bis hin zum Bundesarbeitsgericht entschieden wurden.
Hier ein Beispiel (LAG Niedersachsen: Beschluss vom 17.12.2007 – 12 TaBV 86/07 ):
Ein Betriebsratsvorsitzender sperrte durch Beschluss nach einer Sitzung die Zugriffsrechte von überwiegend nicht freigestellten Betriebsratsmitgliedern auf auf Daten des Betriebsrats. Es wurden Zugriffsrechte auf bestimmte Ordner entzogen, so dass die Betriebsratsmitglieder keinen Einblick mehr in die Ordner hatten. Dies betraf unter anderem auch die E-Mail Schriftverkehr des Betriebsrats. Allein der Betriebsratsvorsitzender, sein Stellvertreter als auch der Systemadministrator hatten unbeschränkten Zugriff auf alle Ordner. Es kam also zu einer internen Auseinandersetzung der Betriebsratsmitglieder, die bis hin zum Landesarbeitsgericht Niedersachsen ausgetragen wurde.
Die übrigen Betriebsratsmitglieder haben die Auffassung vertreten, sie seien berechtigt, jederzeit auf die Datenbestände des Betriebsrats zuzugreifen. Der Betriebsratsvorsitzende bzw. der Betriebsrats insgesamt, vertreten durch den Vorsitzenden, sei dementsprechend verpflichtet die Zugriffsmöglichkeiten für die übrigen Mitglieder des Betriebsrats einzurichten.
Sowohl das Arbeitsgericht, als auch das Landesarbeitsgericht (vgl. LAG Niedersachsen 17.12.2007 – 12 TaBV 86/07) hat klargestellt, dass Zugriffsrechte auf elektronischer Ordner des Betriebsrats den einzelnen Betriebsratsmitgliedern nicht verweigert werden dürfen.
Die die Betriebsratsmitglieder haben gegen den Betriebsratsvorsitzenden und sein Stellvertreter aus § 34 Abs. 3 BetrVG einen Anspruch auf jederzeitige Einsichtnahme in die vom Betriebsratsvorsitzenden gespeicherten auf die Arbeit des Betriebsrates bezogenen elektronischen Dateien.
Der Kern der Entscheidung der Gerichte lautet wie folgt:“ Nach § 34 Abs. 3 BetrVG haben die Mitglieder des Betriebsrates das Recht, die Unterlagen des Betriebsrats und seiner Ausschüsse jederzeit einzusehen.“
Entgegen der Auffassung des Betriebsratsvorsitzenden und dessen Stellvertreter ergibt die Auslegung der Norm, dass der Begriff der „Unterlagen“ in § 34 Abs. 3 BetrVG sich nicht nur auf schriftliche in Akten geführte Unterlagen bezieht, sondern auch elektronische gespeicherte Dateien erfasst, soweit sie dem Betriebsrat zugeordnet werden können.
Auszugehen ist dabei vom Wortlaut, der Entstehungsgeschichte, dem systematischen Gesamtzusammenhang sowie dem Sinn und Zweck, soweit er im Gesetz erkennbar Ausdruck gefunden hat (BAG 19.04.2005 – 9 AZR 233/04 -). Bereits der Begriff „Unterlagen“ lässt eine Beschränkung auf nur schriftlich verfasste Unterlagen nicht zu. Schriftliche Aufzeichnungen sind zweifelsfrei „Unterlagen“ im Sinne der Norm.
Das Gericht führt dazu aus: “ Die Beschränkung der Zugriffsrechte lediglich auf Ausschussmitglieder verletzt das Einsichtsrecht der übrigen Betriebsratsmitglieder aus § 34 Abs. 3 BetrVG. Das einzelne Betriebsratsmitglied muss die Möglichkeit haben, z. B. in einer Betriebsratssitzung auch die Arbeit des Personalausschusses diskutieren zu können. Dazu gehört, dass über die Entscheidungen im Personalausschuss insgesamt Informationen vorhanden sind und sie jedem Betriebsratsmitglied frei zugänglich sind. § 34 Abs. 3 BetrVG dient damit auch einem Minderheitenschutz, der es ermöglichen soll, aus Sicht von einzelnen Betriebsratsmitgliedern bestimmte Verfahrensweisen zur Diskussion zu stellen….“
Das Bundesarbeitsgericht (BAG, 12.08.2009 – 7 ABR 15/08) hat nochmal folgendes in Orientierungssätzen redaktioneller Art dazu festgehalten:
„1. Unterlagen des Betriebsrats iSd. § 34 Abs. 3 BetrVG sind nicht nur die in Papierform verkörperten Aufzeichnungen, sondern sämtliche auf Datenträgern gespeicherten Dateien sowie die Korrespondenz des Betriebsrats unter dessen E-Mail-Anschrift.
2. Jedes Mitglied verfügt über ein unabdingbares Recht, die Unterlagen des Betriebsrats jederzeit einzusehen. Dazu zählt das elektronische Leserecht der Dateien und der E-Mail-Korrespondenz.
3. Dieses Einsichtsrecht kann innerhalb des Betriebsrats nicht durch Maßnahmen nach § 9 Satz 1 BDSG in Verbindung mit der dazu geltenden Anlage beschränkt werden. Als Teil der verantwortlichen Stelle nach § 3 Abs. 7 BDSG hat der Betriebsrat aber über Maßnahmen zu beschließen, um einem Missbrauch von Daten in seinem Verantwortungsbereich zu begegnen.“
Gerade im Hinblick auf eine aktuelle Auseinandersetzung, bei der ich die Interessenvertretung für bestimmte Betriebsratsmitglieder übernommen habe, ist diese Entscheidung von übergeordneter Bedeutung. Ich bin sehr gespannt, wie das zuständige Arbeitsgericht und insbesondere das Landesarbeitsgericht in Düsseldorf die Rechte der Betriebsratsmitglieder, die eben nicht dem Vorstand oder dem Kreis der freigestellten Betriebsratsmitglieder angehören, beurteilt wird.
Ihr KA