Ich werde immer wieder gefragt, ob Röntgenaufnahmen beim Pferdekauf für sich schon aussagekräftig sind und ob sich hieraus Rechte für den Käufer bzw. Verkäufer herleiten lassen. Lässt sich anhand der Röntgenaufnahmen ein Sachmangel an der Kaufsache „Pferd“erkennen?
Dazu muss man sich zunächst vor Augen führen, ob man zu den Röntgenaufnahmen auch eine die ärztliche Begutachtung und Beurteilung vorliegen hat. Schon deshalb ist es wichtig, beim Pferdekauf und der damit im Zusammenhang meist stehenden so genannte Ankaufsuntersuchungen den Tierarzt zu verpflichten dazu auch eine Beurteilung abzugeben. Meist geschieht dies mündlich. Hier sollte man als Käufer darauf bestehen, dass man eine schriftliche Stellungnahme in Form eines Kurzgutachtens erhält.
Die für den Röntgenleitfaden 2007 zuständige dritte Röntgenkommission in Deutschland hat sich darauf geeinigt, bestimmte Röntgenklassen von I-IV für die gutachterliche Tätigkeit bei der Feststellung von Befunden einzuführen. ImJahre 2007 wurden diese wie folgt definiert:
Klasse I:
Röntgenologisch ohne besonderen Befund und Befunde, die als anatomische Formvarianten eingestuft werden.
(Idealzustand)
Klasse II:
Befunde, die gering vom Idealzustand abweichen, bei denen das Auftreten von klinischen Erscheinungen in unbestimmter Zeit mit einer Häufigkeit unter 3 % geschätzt wird. (Normzustand)
Klasse III:
Befunde, die von der Norm abweichen, bei denen das Auftreten von klinischen Erscheinungen in unbestimmter Zeit mit einer Häufigkeit von 5 % bis 20 % geschätzt wird.
(Akzeptanzzustand)
Klasse IV:
Befunde, die erheblich von der Norm abweichen, bei denen klinische Erscheinungen wahrscheinlich (über 50%) sind.
(Risikozustand)
Anhand dieser Klassen soll nun erkannt werden, von welcher „knöchernen Gesundheit“ beim potenziellen „Kaufgegenstand Pferd“ ausgegangen werden kann. Letzten Endes unterliegt die Beurteilung dem jeweils handelnden Tierarzt. Auch dort gehen die Meinungen und damit die Ergebnisse der Untersuchung häufig auseinander.
Aber nicht nur die Röntgenklasse bzw. der Befund wird für den Kauf entscheidend sein. Ein Käufer wird immer ein besonderes Augenmerk auf die klinische Untersuchung des Tierarztes liegen müssen. Auch hier kann man wieder nur anraten sich die klinische Untersuchung schriftlich bestätigen zu lassen. Die Schriftlichkeit hat insgesamt den großen Vorteil, dass man im Streitfall sich auf das Gutachten bzw. Ergebnis der Untersuchung durch den Tierarzt berufen kann.
Unter Umständen kann das bei einem gescheiterten Kauf und einer streitigen Auseinandersetzung auch zu einer Haftung des Tierarztes führen:
Mit seinem Urteil vom 26.01.2012 – VII ZR 164/11 – hat der Bundesgerichtshof jüngst festgestellt, dass der Auftrag an den Tierarzt, eine Ankaufsuntersuchung bei einem Pferd durchzuführen, ein Werkauftrag ist und der zugrunde liegende Vertrag ein Werkvertrag. Dieser Vertrag verpflichtet den Tierarzt nicht nur, eine Ankaufsuntersuchung des Pferdes ordnungsgemäß durchzuführen. Sondern dieser Vertrag verpflichtet den Tierarzt auch, seinem Auftraggeber das Ergebnis der Ankaufsuntersuchung und insbesondere vorliegende Auffälligkeiten des Tieres mitzuteilen. Die Arbeit des Tierarztes muss fehlerfrei sein! Liegt ein Fehler vor, dann haftet der Tierarzt aus Werksvertragsrecht gemäß § 634 Nr. 4 i.V.m. § 280 BGB auf Schadensersatz. Dieser Schadensersatz richtet sich auf den Schaden, den der Käufer aufgrund des Kaufs des Pferdes erlitten hat.
Ein solches schriftliches tierärzliches Gutachten inklusive der Röntgenaufnahmen hat eben auch den großen Vorteil, dass man sich vor dem Kauf auch noch eine so genannte Zweitmeinung eines anderen Tierarztes einholen kann und dazu den Tierarzt die Unterlagen zukommen lässt.
Besonders instruktiv zu Röntgenbefunden hat der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung vom 16.02.2007 entschieden. Es lohnt sich zumindest die Presseerklärung des Bundesgerichtshof dazu durchzulesen:
„Der Bundesgerichtshof hatte darüber zu entscheiden, unter welchen Voraussetzungen bei einem verkauften Reitpferd Abweichungen von der „physiologischen Norm“ als Sachmangel zu qualifizieren sind.
Die Vorinstanzen hatten einen Sachmangel des verkauften jungen Reitpferdes bejaht und den darauf gestützten Rücktritt der Käuferin gebilligt, weil das Tier bei Gefahrübergang im Bereich der Dornfortsätze der hinteren Sattellage so genannte „Röntgenveränderungen der Klasse II-III“ (enger Zwischenraum zwischen zwei Dornfortsätzen mit Randsklerosierung) aufwies, die von der physiologischen (Ideal-)Norm abweichen. Das Berufungsgericht hatte einen Mangel bereits darin gesehen, dass aufgrund dieser Veränderungen ein höheres Risiko für das spätere Auftreten „klinischer Symptome“ bestehe als bei einem Pferd mit idealen Anlagen und dass „der Markt“ hierauf mit einem deutlichen Preisabschlag reagiere. Feststellungen zu den nach der Behauptung der Käuferin bereits aufgetretenen „klinischen Erscheinungen“ des Tieres, die dessen Eignung als Reitpferd beeinträchtigen könnten, hat es deshalb nicht getroffen.
Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat entschieden, dass die Eignung eines klinisch unauffälligen Pferdes zur Verwendung als Reittier nicht schon dadurch in Frage gestellt wird, dass aufgrund bestehender Röntgenveränderungen eine geringe Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass das Tier zukünftig klinische Symptome entwickeln wird, die seiner Verwendung als Reitpferd entgegenstehen.
Auch für die Beurteilung der Frage, ob das verkaufte Pferd wegen Abweichung von der üblichen Beschaffenheit vergleichbarer Pferde mangelhaft war, waren die tatrichterlichen Feststellungen der Vorinstanzen unzureichend. Abweichungen vom physiologischen Idealzustand kommen in gewissen Umfang bei Lebewesen häufig vor. Der Käufer eines Reitpferdes kann deshalb nicht erwarten, dass er auch ohne besondere Vereinbarung ein Tier mit „idealen“ Anlagen erhält. Ob die bei der verkauften Stute festgestellte Abweichung als Mangel zu qualifizieren ist, hängt davon ab, wie häufig derartige Röntgenbefunde der Klasse II-III bei Pferden dieser Kategorie vorkommen. Dazu hatte das Berufungsgericht keine Feststellungen getroffen.
Ein Mangel des verkauften Pferdes lässt sich schließlich auch nicht mit dem vom Berufungsgericht festgestellten Umstand begründen, dass „der Markt“ auf Veränderungen der Röntgenklasse II-III mit Preisabschlägen von 20 bis 25% reagiert. Abweichungen eines verkauften Pferdes von der „physiologischen Norm“, die sich im Rahmen der üblichen Beschaffenheit vergleichbarer Pferde halten, sind nicht deswegen als Mangel einzustufen, weil „der Markt“ auf derartige Abweichungen mit Preisabschlägen reagiert. Preisabschläge beim Weiterverkauf, die darauf zurückzuführen sind, dass „der Markt“ bei der Preisfindung von einer besseren als der tatsächlich üblichen Beschaffenheit von Sachen gleicher Art ausgeht, begründen keinen Mangel.
Urteil vom 7. Februar 2007 – VIII ZR 266/06
LG Karlsruhe -Urteil vom 1. Februar 2005 – 8 O 103/03 ./. OLG Karlsruhe – Urteil vom 23. Mai 2006 – 11 U 9/05
Karlsruhe, den 16. Februar 2007″
Natürlich ist das immer eine Entscheidung zu einem bestimmten Einzelfall. Man sollte sich davor hüten, zwingende Schlüsse aus so genannten Einzelfallentscheidung zu ziehen. Jeder Fall ist anders. Allerdings macht der Bundesgerichtshof deutlich, dass es sich bei Pferden um ein so genanntes „Naturprodukt“ handelt und dass aufgrund dessen Abweichungen von der Norm an der Tagesordnung stehen. Derartige Abweichungen sind tolerierbar und führen nicht zwingend zu einer Rückabwicklung des Kaufvertrages.